Wie kann man Menschen in ihrer Wirkung und Botschaft stärken? In unserer zweiteiligen Interviewreihe mit Lucas Federhen, Berater für Präsentation und Kommunikation, sprechen wir darüber, wie virtuelle Räume unsere Stimme, Präsenz sowie Lernprozesse beeinflussen. Und vor allem, welche Chancen sich daraus für moderne Sprechtrainings ergeben. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Haltung, Aha-Momente und die Frage: Wie verändert sich unser Sprechen, wenn wir in virtuellen Hörsälen stehen?
Lucas Federhen, 34, hat Schauspiel an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover studiert und fünf Jahre an verschiedenen Theatern gearbeitet. 2022 hat er seinen Master in Speech Communication and Rhetoric an der Universität Regensburg begonnen. In seiner Masterarbeit beschäftigt er sich mit der Frage, welchen Einfluss Virtual Reality auf den Stimmausdruck hat. Seit 2025 arbeitet er bei BenStotz, einem Beratungsunternehmen im gewerkschaftlichen Kontext und mit Fokus auf Prozessbegleitung, Mitgliedergewinnung und Strategieentwicklung. Dort begleitet er heute Prozesse mit einem besonderen Augenmerk auf Künstliche Intelligenz.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Ursprünglich kommst du aus der Sprechwissenschaft. Was genau versteht man darunter – und wann oder für wen ist Sprechtraining besonders sinnvoll?
Lucas Federhen: Die Sprechwissenschaft ist eine noch recht junge Disziplin. Sie beschäftigt sich mit dem Prozess der Kommunikation des gesprochenen Wortes und ist gleichzeitig interdisziplinär, da sie physische, physiologische, physikalische, linguistische und soziale Perspektiven einnimmt.
Betrachten wir die konkrete Anwendung, dann ist ein Sprechtraining für alle sinnvoll, die in ihrem Alltag viel sprechen. Das muss gar nicht heißen, dass man eine viel sprechende Person sein muss. Wer regelmäßig in einem Team arbeitet, wer moderiert, präsentiert, erklärt – für den ist Sprechtraining relevant.
Ich sehe das Sprechtraining als eine Art „verborgene Disziplin“: Wenn man sie noch nicht kennt, weiß man nicht, was einem fehlt. Aber wenn man einmal damit anfängt, merkt man, wie viel man rausholen kann – mit der eigenen Stimme, mit der Wirkung, mit der Präsenz. Auch in fachfremden Arbeitsfeldern ist das unglaublich sinnvoll, weil die Stimme einfach immer mitschwingt. Es geht eben nicht nur darum, was gesagt wird, sondern wie.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Du hast deine Masterarbeit über den Einsatz von Virtual Reality in der Sprechwissenschaft geschrieben. Wie bist du auf das Thema gekommen?
Lucas Federhen: Das erste Mal bin ich auf das Thema gestoßen, als ich von einem Forschungsprojekt an der RWTH Aachen gehört habe, welches Virtual Reality (VR) in einem Forschungsprojekt eingesetzt hat. Da ich bislang kaum technische Anwendungen in unserem Feld kannte, war mein Interesse sofort geweckt. Ich fand es einfach sinnvoll, dass man Virtual Reality in Bereichen wie Rhetorik oder Sprecherziehung nutzt – und dieser Meinung bin ich noch heute.
Für alle, die es sich mal bildlich vorstellen wollen: Mit VR kann man einen virtuellen Raum darstellen, der größer ist als der physische Raum, in dem man sich befindet – zum Beispiel eine Meetingsituation oder einen Hörsaal. Aber was passiert dann? Hat ein großer Raum, selbst wenn er nur simuliert ist, beispielsweise einen Einfluss auf meine Körperspannung? Und schlägt sich das in meiner Stimme nieder? Wie verändert sich dadurch mein Sprechtraining?
Was genau hast du in deiner Masterarbeit untersucht?
Lucas Federhen:Da es bisher keine Studien dazu gab, war die Forschungsfrage für meine explorative Masterarbeit schnell gefunden: Welchen Einfluss haben virtuelle Räume auf den Stimmenausdruck? Aus den Erfahrungen meiner Schauspielzeit formte sich für mich persönlich die Hypothese, dass der Umgang mit unterschiedlichen Räumen einen Einfluss auf die persönliche Lernkurve bzw. das Sprechtraining haben kann – und VR diesen Einfluss potenziell verstärkt, da durch die Simulation ein viel schnellerer Raum- bzw. Situationswechsel möglich ist.
Gute Redner und Rednerinnen sind oft Personen, die viele verschiedene Situationen kennen – große Räume, kleine Räume und verschiedene Zielgruppen und Redeanlässe. Sie haben sich mit der Zeit eine gewisse Gelassenheit angeeignet. Meine Überlegung war: Wenn man mit VR Trainingsräume schaffen kann, die solche Erfahrungen simulieren, dann ist es möglich, diese Gelassenheit gezielter und vielleicht auch schneller zu entwickeln.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Im Rahmen deiner Forschung hast du auch VR EasySpeech getestet. Gab es technische oder methodische Herausforderungen? Und was hat dich persönlich überrascht?
Lucas Federhen: Während der Studie haben wir den Hörsaal aus dem Präsentationstrainingsmodul innerhalb der VR EasySpeech App genutzt – ein sehr imposanter Raum mit vielen Leuten im Publikum. Ich habe mich bewusst für diese virtuelle Situation entschieden, da die meisten Teilnehmenden zuvor wahrscheinlich noch nie in solch einem großen Raum gestanden und dort vor Publikum gesprochen haben – eine spannende Ausgangssituation für das Sprechtraining. Das Publikum in der VR EasySpeech Trainingsumgebung besteht aus echten, aufgenommenen Menschen und nicht aus Avataren. Sie bewegen sich realistisch, schauen einen an – und das wirkt. Es fühlt sich real an und kommt einer echten Redesituation sehr nah.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Wie haben die Teilnehmenden das Tool in Bezug auf ihr eigenes Sprechtraining aufgenommen?
Lucas Federhen:Die Reaktionen auf das Tool waren unterschiedlich, vor allem abhängig von Technikaffinität und Alter. Personen, die außerhalb der Studie viel mit Technik in Berührung kommen, hatten weniger Berührungsängste, konnten sich schneller orientieren und sind offener mit dem Setting umgegangen. Andere waren anfangs verhaltener und mussten sich erst einmal eingewöhnen – ein erster spannender Trainingsmoment.
Gleichzeitig kam mit der Unsicherheit der Studienteilnehmenden eine methodische Herausforderung auf uns zu: Wie geht man am besten mit ihren Ängsten um? Wie kriegt man die Leute trotzdem dazu, ihre Stimme zu entfalten, obwohl sie sich zu Beginn unwohl fühlen? Wir haben dieses Ungewohnte als Ausgangspunkt genommen, um zu schauen, wie sich die teilnehmenden Personen darin entwickeln.
Inwieweit hat sich der Einsatz des Tools auf den Trainingsfortschritt der Teilnehmenden ausgewirkt?
Lucas Federhen:Für unserer Untersuchung haben wir eingerichtet, dass die Teilnehmenden über Kopfhörer und in Echtzeit ihre eigene Stimme inklusive Hall und Akustik des virtuellen Raums hören konnten. Durch dieses zusätzliche immersive akustische Erlebnis war es unseren Teilnehmenden möglich zu erleben, wie ihre Stimme im großen Hörsaal klingt und auf andere wirkt. Diese Erfahrung hat sich positiv auf den weiteren Verlauf des Sprechtrainings ausgewirkt.
Wie haben die Teilnehmenden auf das Sprechtraining mit VR reagiert?
Lucas Federhen: Es gab viel Neugier, Begeisterung, aber auch echtes Staunen. Gerade weil es für alle Teilnehmenden das erste VR-Sprechtraining war. Diese forschende Haltung, dieses „Ich schau mir das mal an“, ist natürlich eine gute Grundlage für das Training. Man ist automatisch wacher und offener – auch gegenüber der neuen Technologie.
Ich empfand es als besonders spannend, dass die Unerfahrenheit im Umgang mit Virtual Reality zu echten Aha-Momenten geführt hat. Und das nicht nur im Sinne von „Wow, so sieht das aus!“, sondern auch im Sinne von: „Das fühlt sich echt an! Ich spüre gerade meine Aufregung, obwohl ich weiß, dass das nur eine Simulation ist.“ Genau das sind die Momente, in denen wirkliches Lernen passiert.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Welche konkreten Vorteile bietet Virtual Reality im Sprechtraining?
Lucas Federhen: Ein ganz grundlegender Vorteil ist die Flexibilität. Man braucht nicht mehr einen großen Raum vor Ort, sondern kann diesen virtuell mitnehmen – wir haben sozusagen den Konferenzraum oder Hörsaal immer in der Tasche. Auch die Brillen sind leicht, mobil und schnell einsatzbereit. Dies ist ebenso praktisch für Personen, die ein Sprechtraining absolvieren möchten, wie auch für uns als Trainer und Trainerinnen. Denn Virtual Reality erweitert unsere Werkzeugkiste enorm, da wir mit VR immer und überall große Redesituation simulieren können.
Welches Potenzial siehst du für die Zukunft der Sprechwissenschaft?
Lucas Federhen:Ich sehe Virtual Reality als eine Art Türöffner für eine technologische Perspektive in der Sprechwissenschaft. Ich glaube, wir stehen da erst am Anfang. In Zukunft wird es noch viel mehr Lösungen geben, bei denen sich Technologie und Sprecherziehung ergänzen – auch mit Blick auf KI. Natürlich bleibt es zusätzlich spannend, wie sich die Technik in Sachen Auflösung, Szenarienvielfalt, Reaktionsmöglichkeiten des Publikums usw. entwickeln wird.
Aber ich glaube nicht, dass wir warten müssen, bis alles perfekt ist. Ganz im Gegenteil: Wenn wir in fünf Jahren wissen wollen, wie man VR sinnvoll im Sprechtraining einsetzt, dann müssen wir jetzt anfangen, es zu erproben. Die App von VR EasySpeech ist da ein guter Einstieg – sie bildet bereits heute viele wichtige Szenarien ab. Und weil es bisher kaum Forschung in diesem Bereich gibt, ist es auch an uns, als Trainer und Trainerinnen, Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln, sie einzuordnen und neue Ideen daraus zu entwickeln.

© Redaktion / Verlag Dashöfer GmbH
Wird Virtual Reality langfristig ein fester Bestandteil der Sprechwissenschaft? Oder bleibt es ein Zusatztool unter vielen?
Lucas Federhen: Ich denke, das hängt stark vom Trainingskontext ab – also davon, mit welchen Zielgruppen gearbeitet wird und welche Art von Trainings angeboten werden. In Bereichen, in denen Technologie schon eine größere Rolle spielt, wird Virtual Reality sicher ein fester Bestandteil werden. Insbesondere da, wo man komplexe Redesituationen simulieren oder gezielt Präsenz trainieren will, kann VR sehr viel leisten.
Dennoch wird es weiterhin Trainer und Trainerinnen geben, die einen direkten sowie persönlichen Austausch priorisieren – und das ist vollkommen legitim und muss sich gegenseitig nicht ausschließen. Das klassische „Mensch-zu-Mensch“-Setting hat nach wie vor seine Berechtigung. Ich komme ja selbst aus dem Theater – ich weiß, wie viel Kraft in der unmittelbaren Begegnung steckt. Trotzdem gibt es Situationen, in denen Virtual Reality echte Vorteile bietet. Zum Beispiel, wenn jemand durch VR die Chance bekommt, in einem virtuellen Hörsaal zu sprechen, obwohl er oder sie das im realen Leben vielleicht nie könnte. Allein diese Erfahrung kann etwas auslösen. Und da frage ich mich: Warum sollte man diese Möglichkeiten nicht nutzen?
Es geht nicht um ein „entweder oder“. Es geht darum, neugierig zu bleiben, offen für neue Methoden – und klug darin zu entscheiden, wann welches Werkzeug sinnvoll ist. Es liegt vor allem bei uns Trainern und Trainerinnen sich mit Fragen wie „Für welche Trainingsziele eignet sich VR?“ oder „Bei welchen Herausforderungen kann VR-gestütztes Sprechtraining wirklich helfen?“ zu beschäftigen. Virtual Reality wird sicher nicht alles ersetzen, aber es wird unser Feld bereichern – und vielleicht auch ein bisschen verändern.